Immer wieder können wir davon lesen, dass sich der Mensch selbst von Krankheiten heilen kann, selbst von sogenannten Wunderheilungen liest man ab und zu. Was steckt psychologisch betrachtet dahinter und kann es das wirklich geben?
In diesem Blogbeitrag möchte ich den Selbstregulierungsmechanismus des Menschen aus Sicht der Psychologie und Evolution beleuchten.
Jedes Lebewesen hat fünf Grundbedürfnisse
Es gibt fünf Grundbedürfnisse von Lebewesen, die es im Gleichgewicht zu halten gilt, so dass das eigene Überleben und das Überleben der eigenen Spezies gesichert ist.
- Hat ein Lebewesen zu wenig Energie, so nimmt es Nahrung zu sich.
- Hat ein Lebewesen zu wenig Flüssigkeit, so trinkt es.
- Ist die Körpertemperatur zu niedrig, so wärmt es sich.
- Fühlt es sich einer Gefahr ausgesetzt, so versucht es dieser Gefahr zu entkommen.
- Sind alle oberen Bedürfnisse erfüllt, so sucht das Lebewesen nach Paarungspartnern, um das Überleben der Spezies zu sichern.
Tiere in der freien Wildbahn, egal ob Insekten, Reptilien, Säugetiere, usw. spüren instinktiv, wenn ihr Gleichgewicht nicht mehr stimmt und sie essen oder trinken müssen, sich wärmen oder gegen Angreifer verteidigen müssen. Sie spüren auch, wann sie genug gegessen oder getrunken haben oder wann es sich lohnt gegen einen Angreifer zu kämpfen oder zu fliehen. Sie spüren, wenn sie Ruhe brauchen und wie sie sich verhalten müssen, um sich von einem Angriff zu erholen. Dieses Spüren des Gleichgewichts ist der Selbstregulierungsmechanismus.
An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich hier wirklich nur von freien Tieren spreche, auf die der Mensch keinerlei Einfluss nimmt. Sobald der Mensch auch nur irgendwie am Leben eines Tieres beteiligt ist oder Einfluss nimmt und sei es auch noch so kurz, kann es passieren, dass das Tier nachhaltig „traumatisiert“ wird und der natürliche Selbstregulierungsmechanismus gestört ist. Oder hast du schon mal ein übergewichtiges oder magersüchtiges Tier oder ein Tier mit Drogenproblemen in freier Natur gesehen?
Gestörter Selbstregulierungsmechanismus
Im Unterschied zu den Säugetieren sind viele Menschen sehr kopflastig und haben verlernt auf ihren Körper und ihr Gefühl zu achten. Das liegt aber nicht nur daran, dass Menschen unangenehme Situationen bewusst verdrängen oder unangenehme Gefühle hinunterschlucken. Konkret beginnen wir mit dem Zeitpunkt der Zeugung von unserer Umwelt zu lernen, wie wir mit schlimmen Ereignissen umgehen. Schon im Mutterleib bekommen wir das Stressprofil unserer Mutter mit auf unseren Lebensweg. Und so geht es auch nach der Geburt weiter. Wenn sich all die anderen Gehirnschichten nach und nach entwickeln, erleben wir durch unsere Eltern, Geschwister, Großeltern, kulturelle und gesellschaftliche Normen und Regeln wie wir uns zu verhalten haben.
Als ich Kind war, war es bei vielen Familien so, dass Kinder nicht das Recht hatten, wütend zu sein, egal auf wen. Wütende Kinder wurden dann gerne auf ihr Zimmer geschickt mit den Worten: „Wenn du dich beruhigt bist, kannst du wieder kommen.“ So haben diese Kinder gelernt, dass sie ihre Wut am besten hinunterschlucken und nicht zeigen. Das Resultat war oft passive Aggressivität, Ausrasten wegen Kleinigkeiten, Essstörungen, diverse psychosomatische Beschwerden und das alles reicht bis ins späte Erwachsenenalter hinein und schaukelt sich gegenseitig auf.
Wir werden also für die jeweilige Kultur, Gesellschaft und Familie passend gemacht. Dadurch
ging unsere natürlich angeborene Fähigkeit, „Nein zu sagen“, unser Gleichgewicht zu spüren, verloren. Wir essen, obwohl wir nicht hungrig sind, wir lassen uns vom Chef oder Ehepartner ungerecht behandeln oder wir betäuben uns mit diversen legalen Drogen wie Alkohol, Nikotin, Zucker, Fernseh- und Handykonsum, exzessivem Sport oder illegalen Drogen. Die Liste an „Betäubungsmitteln“ ist lang.
Frauen besonders betroffen
Frauen sind davon besonders betroffen. Selbst wenn sich eine Frau „Nein“ sagen traut, wird sie oft nicht gehört oder erst genommen. Tief verwurzelt ist die Idee, dass die Frau dem Manne unterlegen ist, dienen muss und weniger wert ist als der Mann. Noch vor nicht allzu langer Zeit war man auch in der westlichen Welt über einen Sohn als Erbnachfolger hoch erfreut. In China wurden seit der 1-Kind-Politik unzählige Mädchen abgetrieben, weil ein Sohn mehr Ansehen brachte und die Versorgung der Eltern eher sicher stellten konnte.
Die Fähigkeit, „Nein“ zu sagen
Je besser die Fähigkeit, „Nein“ zu sagen, ausgeprägt ist, desto besser funktioniert der Selbstregulierungsmechanismus. Ein Beispiel: Eine Frau ist abends in einem Lokal und trifft einen Bekannten. Sie plaudern anfangs noch recht nett, doch irgendwann ist ihr das Gespräch einfach zu mühsam und anstrengend. Auf alle Fälle möchte sie das Gespräch beenden, aber noch nicht nach Hause gehen. Viele Frauen trauen sich nicht dem Bekannten zu sagen, dass sie nicht mehr mit ihm plaudern wollen. Stattdessen erfinden sie Gründe für den Abbruch des Gesprächs, verlassen das Lokal, obwohl sie nicht wollen oder verharren in dem Gespräch und lassen es über sich ergehen. Ihr Verhalten macht sie innerlich wütend, auf sich selbst, doch weil sie über viele Jahre gelernt hat, dass man höflich ist zu seinen Mitmenschen und Wut nicht in Ordnung ist, spürt sie die Wut schon gar nicht mehr. Ihr Verhalten ist zu einem grundlegenden Muster ihres Lebens geworden.
Nach innen gerichtete Wut über Jahre hinweg gesammelt, bringt früher oder später körperliche Probleme, wie eine nach vorne gekrümmte Körperhaltung, Verspannungen in den Schultern, Füßen, Becken, verminderte Luftkapazität der Lunge, Organe, die nicht mehr einwandfrei funktionieren.
Wiederherstellung des Selbstregulierungsmechanismus
Wut und Verletztheit gehen Hand in Hand – Du bist wütend, weil dich jemand verletzt hat. Manchmal sind wir nur traurig, manchmal nur wütend und manchmal beides zusammen und weinen wütende Tränen. In erster Linie geht es darum, all die in deinem Körper gespeicherte Wut und nicht geweinte Tränen der Verletztheit langsam abzubauen.
Ist der Ballast an Wut und nicht geweinter Tränen deiner Kindheit einmal aufgearbeitet, hast du auch gelernt, dich wieder zu spüren und wirst auf dein inneres Gleichgewicht achten können. Du wirst essen, wenn du hungrig bist und nicht darüber hinaus. Du wirst jedem auf verständliche, wertschätzende Art kommunizieren können, wenn er dabei ist, deine Grenzen zu überschreiten. Letztlich wirst du innerlich stark, ausgeglichen und ruhig sein. Selbst Provokationen von anderen werden dich nicht mehr aus der Bahn werfen und aufregen.