fbpx

Wut und Aggression – wachstumsfördernde Kräfte

Durch Vorbildwirkung der Eltern und engen Bezugspersonen lernen wir von klein auf, welche Körperempfindungen in Summe die Emotion Wut ergeben. Werden unsere Grenzen nicht respektiert, ärgert uns also jemand oder etwas, so erhöht sich ganz automatisch ohne willentliches Zutun unsere Herzfrequenz, der Blutdruck steigt, die Atemfrequenz erhöht sich, Adrenalin wird ausgestoßen und noch einiges mehr. Viele ballen auch die Fäuste, pressen die Kiefer aufeinander und spannen die Bauchmuskeln an. Es wirkt fast so, als würden wir uns auf einen Kampf vorbereiten.

 

Wut ist nicht erlaubt

Leider lernen wir auch von unseren Vorbildern und der Gesellschaft, dass Wut nicht erlaubt ist. Die Wut eines Kleinkindes wird oftmals nicht ernst genommen, heruntergespielt, fast schon ins Lächerliche mit den Worten „Also jetzt hüpfst du wie ein Rumpelstielzchen, hahaha“ gezogen. Und obwohl die katholische Kirche Jahr für Jahr mehr Schäfchen verliert, hat sie durch ihr Jahrtausende langes Herrschen tiefe Spuren in unserem kulturellen Erbe hinterlassen. „Wirst du auf eine Wange geschlagen, so halte auch die andere hin“ ist einer der Phrasen, die gerne verbreitet wurden und werden. Ganz besonders Frauen mussten sich Jahrtausende lang unterordnen, durften ihre Grenzen und Bedürfnisse nicht kommunizieren oder gar ausleben. So lernen wir als Kinder, dass Wut nicht erlaubt ist und beginnen Wut zu verdrängen oder hinunterzuschlucken. Stattdessen wird uns beigebracht über Wut zu reden, also die entstandenen Körperempfindungen wegzureden. Oder wir lernen, dass Lächeln und ein freundliches Gesicht eher akzeptiert sind und so lächeln wir obwohl wir wütend sind.

 

„Nature is no fool“

Emotionen bzw. die darunterliegenden Körperempfindungen können zwar kurzfristig verdrängt und ignoriert werden, doch Sigmund Freud sagte schon, dass verdrängte Emotionen niemals sterben. Sie werden lebendig begraben und werden später in hässlicher Weise wieder hervorkommen.“ Körperempfindungen, die in Summe als Wut interpretiert werden und nebenbei bemerkt, universell auf der ganzen Welt identisch sind, haben ihre Entstehung in einem der ältesten Teile des menschlichen Nervensystems. Alles, was in der Evolution seit langem unverändert vorliegt, hat Bestand, weil es sich bewährt hat. Ganz nach dem Motto „Nature is no fool.“

 

Enorme Energie der Wut und Aggression

Hinter Wut und Aggression stecken eine enorme Energie, die eine enorme Kraft hat. Wer kennt es nicht, das Bedürfnis alles kurz und klein zu schlagen, wenn man wütend ist. Weil wir uns nicht erlauben, wütend zu sein und die Energie der Wut nach außen zu richten, speichern wir diese enorme Energie im Körper. Einerseits bewirkt diese nach innen gerichtete Energie selbstzerstörerisches Verhalten, wie zum Beispiel Drogen- oder Alkoholkonsum, gefährliche Sportarten oder exzessives Ausüben von Sport, ungesundes Essverhalten und auch unbewusstes Suchen nach gefährlichen Situationen wie zum Bespiel aggressives Verhalten im Straßenverkehr. Gleichzeitig reagieren wir in Situationen, in denen wir wütend sind, über die Maßen hinaus. Das bedeutet, dass wir wegen einer Kleinigkeit so wütend werden als wäre etwas Gravierendes passiert. Wir missbrauchen regelmäßig Freunde und Familienmitglieder, um unsere Wut abzubauen. Weil uns ein Kollege geärgert hat, schnauzen wir den Ehepartner zu Hause an oder sind im Straßenverkehr aggressiv. Je mehr wir in unserer natürlichen Freiheit und Lebensführung eingeschränkt werden, desto wütender werden wir und wissen oft nicht einmal, auf wen oder warum wir wütend sind.

 

Ballast aus der Kindheit

Bevor man beginnt, den täglichen Ärger zu bewältigen, empfiehlt es sich, den großen Ballast der aufgestauten Wut aus der Kindheit abzubauen. Jedes Kind wird passend für die Familie und Gesellschaft gemacht, lernt wie es sein muss, um geliebt und anerkannt zu sein. Das hört sich nicht nur dramatisch an, sondern die Kindheit ist aus Sicht eines Kindes auch dramatisch und traumatisch. Um das Geschehene leichter bewältigen zu können, legen wir gerne eine Decke der wunderbaren Illusion darüber. Sätze wie „Meine Kindheit war wunderschön“ höre ich oft von Klient*innen, bevor wir in die Realität der Kindheit eintauchen.

 

Nach einigen Sitzungen Vorbereitung mache ich mit meinen Klient*innen eine sogenannte „Reptilien-Sitzungen“ im Wald. Ich selbst kann sagen, dass diese Art der Sitzungen mich wesentlich entspannter gemacht hat. Der Spruch „ändere was du ändern kannst, akzeptiere was du nicht ändern kannst, oder gehe“ hat eine neue Bedeutung für mich bekommen. Denn es ist mir zum ersten Mal aus meinem tiefsten Inneren, ohne Zwang oder Disziplin von außen möglich, Situationen oder Menschen zu akzeptieren, wie sie sind. Ich bin auf natürliche Art ruhiger und gelassener und Verhalten anderer Menschen provoziert mich nicht so leicht. Und was mindestens genauso wichtig ist: wenn ich mal wütend bin, weiß ich ganz genau, wer welche meiner Grenzen überschritten hat und sage: „Stopp, bis hier und nicht weiter.“

 

Wut ist wachstumsfördernd

Wut und Aggression sind an sich wachstumsfördernde und transformierende Kräfte und evolutionär betrachtet absolut notwendig für unser Überleben. Wachstumsfördernd können diese Emotionen allerdings nur sein, wenn sie an das Subjekt oder Objekt der Wut gerichtet sind, die die natürliche Lebensführung, normale Freiheit und Wachstum verhindern. „Nein zu sagen, wenn es genug ist“, ist eine wichtige Fähigkeit, bei der sich die Energie der Wut entladen, also expandieren kann. Heute haben viele Menschen die Fähigkeit verloren und die Energie dieser Emotionen richtet sich nach innen als Kontraktion.  Die gute Nachricht ist, dass diese Fähigkeit wieder erlangt werden kann. Es gibt also eine Möglichkeit, die Energie der Wut und Aggression für das eigene Wachstum zu verwenden. 

 

Wut und Aggression im Alltag

Selbst wenn ein großer Teil der Wut aus der Kindheit aufgearbeitet ist, wird es Wut geben, jedoch fällt es uns leichter diese Wut und Aggression im Körper bewusst wahrzunehmen und auch auszuleben. Anstatt „auszuticken“ oder übermäßige Gewalt anzuwenden, sind wir dann in der Lage, die Emotion angemessen auszudrücken. Ein freundliches „Nein Danke“ als spontane Reaktion, so wie es Kinder noch können, ist dann möglich und das ganz ohne von außen aufgesetzte Regeln und eiserne Disziplin.

 

Wie geht es dir mit deiner Wut und Aggression? Wie geht es dir mit deiner Fähigkeit, „Nein zu sagen“, wenn deine normale Lebensführung und Freiheit eingeschränkt werden?

Weitere Blogbeiträge

Stress lass nach

Das Wort „Stress“ ist in aller Munde und bei fast jedem Arzt-Besuch hört man die Worte: „Reduzieren sie ihren Stress, dann wird das schon wieder.“ Doch wie...

Die Triebfeder des Lebens

Was macht ein Lebewesen zum Lebewesen? Was ist die Triebkraft eines jeden Lebewesens und somit von uns Menschen? Sigmund Freud meinte, dass Menschen durch das...